Für steigende Ergänzungsleistungen ist gesorgt | Schweizer Personalvorsorge
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Steigende Kapitalbezüge aus der beruflichen Vorsorge

Für steigende Ergänzungsleistungen ist gesorgt

37 Prozent der neu Pensionierten lassen ihr Altersguthaben aus beruflicher Vorsorge (BV) auszahlen. So viele wie noch nie. Weitere 19 Prozent wählen eine Kombination aus Rente und Kapital (BfS 2022). Zukünftige Anträge auf Ergänzungsleistungen werden explodieren. Aber der Reihe nach.

17.09.2024
Lesezeit: 3 min

Im Leistungsprimat (LP) sind Pensionskassenrenten relativ zum letzten versicherten Lohn definiert. Dies gibt eine hohe Rentensicherheit für die Versicherten. Zusammen mit der AHV ist (entsprechend der Verfassung) die gewohnte Lebenshaltung in angemessener Weise gewährleistet, auch die Inflation wird berücksichtigt. Die Finanzierung des LP ist jedoch anspruchsvoll und belastet Arbeitgeber stark. Kein Wunder haben sie diese Risiken mehrheitlich abgeschafft. 

Beitragsprimat leistet zu wenig Vorsorge

Das in der beruflichen Vorsorge dominante Beitragsprimat (BP) ist die Antwort auf die Risikovermeidung von privaten und öffentlichen Arbeitgebern im LP (während das Leistungsziel in der ursprünglichen Botschaft zum BVG-Obligatorium 1975 noch im Sinne des LP formuliert war, fand das BP in der parlamentarischen Diskussion Einzug in die Vorlage). Das geäufnete Alterskapital mal Umwandlungssatz (UWS) definiert die Rente. Theoretisch kann das BP ähnliche Leistungen erzeugen, wie das LP. Praktisch kommt das kaum vor. Im BP verschiebt sich das Rentenrisiko zu den Arbeitnehmenden.

Interessenlagen im Spannungsfeld gesellschaftspolitischer Solidaritäten

Im Jahr 2022 wurden 13 Milliarden Franken Kapital ausbezahlt – 15 Prozent mehr als im Jahr davor und 120 Prozent mehr als vor zehn Jahren.

Das einschlägige Narrativ der Finanzdienstleister lautet so:

Der Trend zum Kapitalbezug ist kein Zufall. Wer über den nötigen Spielraum verfügt, kommt oft zum Schluss, dass der Kapitalbezug gegenüber der Rente die attraktivere Lösung ist. Zu dieser Attraktivität gehört Flexibilität, die Möglichkeit zur Erfüllung lang gehegter (Konsum)Wünsche, ein tieferer Steuersatz, höher rentierende Anlagechancen und die Vererbung des nicht aufgebrauchten Alterskapitals.

Wer profitiert vom Kapitalbezug?

1. Pensionskassen

Vom Kapitalbezug profitieren Pensionskassen doppelt: Erstens verschwindet das Langleberisiko aus ihren Bilanzen; es wird den kapitalbeziehenden Pensionisten aufgebürdet. Zweitens verbleibt die Überdeckung von Leistungsverpflichtungen (Deckungsgrad > 100%) pro rata bei den Vorsorgern; sie wird beim Bezug nicht mitgegeben.

2. Finanzdienstleister

Der Kapitalbezug wird im besten Fall reinvestiert. Eine individuell erbrachte Anlageberatung oder Vermögensverwaltung dürfte 4 bis 6 mal teurer sein als dies im Kollektiv der wettbewerblich organisierten 2. Säule erbracht wird. Kein Wunder, wird der Kapitalbezug stark beworben.

3. Neurentner mit tiefer Lebenserwartung

Wer erwartet, in der linken Hälfte der Mortalitätsverteilung (zu) vorzeitig zu sterben, profitiert vom Kapitalbezug („negative Selektion“) auf dem Buckel des Kollektivs.

Gelackmeierte Gesellschaft beim Kapitalbezug?

Die Lebenserwartung steigt stetig und liegt bei rund 82 (Männer) und 85 (Frauen) Jahren. Viele Menschen erwarten länger zu leben. Gesunde Pensionisten sollten sich mindestens auf 25 bis 30 Jahre Restlebenszeit einstellen.

Die private Langlebe-Risikoabsicherung (LLR) dürfte für 90% der Schweizer Bevölkerung nicht möglich sein. Wer denkt, mit dem Kapitalbezug seine Finanzsituation im Alter zu verbessern, unterschätzt die hohen Kosten von Annuitäten. Darüber hinaus zusätzliche Ausgaben zu stemmen und/oder Nachkommen Erbschaften zu hinterlassen, verkennt die Herausforderungen.

Ist das bezogene Kapital verbraucht, werden unvorhergesehene Ausgaben, Krankheiten oder Alters-/Pflegeheimkosten schnell zu Mühlsteinen am Hals. Die AHV rettet vor dem Ertrinken nicht; sehr wohl aber Anträge auf Ergänzungsleistungen.

Die Privatisierung von Vorteilen und die Sozialisierung der Nachteile erfolgt auf Kosten der Allgemeinheit und dem Buckel jüngerer Generationen.

Kapitalbezüge sind, falls überhaupt zulässig, stark zu limitieren. Ein Ansatz könnte sein, Teilbezüge von Kapital nur dann zu ermöglichen, wenn die Rente aus der beruflichen Vorsorge mindestens 50000 Franken im Jahr beträgt.

 


Kapitalbezug und Renten

Mittelwert (MW): Durchschnitt

Median (Med): Wert, der Daten in 2 gleiche Teile teilt (50% liegen links, 50% liegen rechts)

Q1: 1. Quartil (=Med der 1. Hälfte),

Q3: 3. Quartil (=Med der 2. Hälfte)

Berufliche Vorsorge (BV): Werte für Kapitalbezug

Säule 3a: Werte für Kapitalbezug


Quelle: BfS (2022), Neurentenstatistik

AHV & BV: Tabelle: gr-d-13.07.02.08

Kapitalbezüge BV & 3a: Tabelle: gr-d-13.07.02.09

Quartilswerte BV: Tabelle: su-d-13.07.02.08, 24.11.2023

Männern (m): mittlerer Betrag 281500; Median 153500; Q1 (Q3) 52500 (350000).
Frauen (w): mittlerer Betrag 130000; Median 65500; Q1 (Q3) 25000 (163000).

Beispiel:
Der Median (Mittel-) Wert der Rente (AHV plus BVG) beträgt 48600 (54100). Beim Kapitalbezug verbleibt die AHV. Würde das ausbezahlte Kapital von 153500 (281500) zur Finanzierung der Rente von 24924 re-investiert, so wäre es nach 6 (12) Jahren aufgebraucht, selbst ohne den Einbezug weiterer Komplikationen