Ohne ihn gäbe es die auf dem Kapitaldeckungsverfahren beruhende 2. Säule nicht.
Die Sache ist ganz einfach: Die Festlegung des technischen Zinssatzes widerspiegelt die Leistungsfähigkeit des «dritten Beitragszahlers».
Deshalb sind alle Expertinnen und Experten auf der Jagd nach dem Heiligen Gral – nach der Fähigkeit, ihren Kunden einen nachhaltigen technischen Zinssatz empfehlen zu können. Also nehmen sie die Art und Weise, nach welchem Allokationsmuster der Auftraggeber seine Anlagen tätigt, unter die Lupe, um die jährliche Rendite vorherzusagen, die – über einen sehr langen Zeitraum – zu erwarten ist.
Einige dieser Experten und Expertinnen haben sich entweder aus Erschöpfung oder aus Abgestumpftheit für das so genannte Nullrisiko entschieden und empfehlen einen technischen Zinssatz von 0%. Ein extremes Modell mit einer gewissen Logik: Es garantiert den aktiven Versicherten Freizügigkeitsleistungen ohne negative Rendite (0%). Dies wirft jedoch Fragen auf, und zwar sowohl für den Versicherten vor der Pensionierung als auch für dessen Pensionskasse, die ihn angesichts eines Umwandlungssatzes ohne Rendite zu einem Kapitalbezug verleitet. Doch das ist ganz klar weder das Ziel der 2. Säule als Sozialversicherung noch wünschenswert für unsere Gesellschaft.
Der jährliche Zinssatz (der kein technischer Zinssatz ist) verbessert die zukünftige Rendite des aktiven Versicherten. Der Bundesrat legt jährlich den BVG-Mindestzinssatz fest. Dabei geht er vorsichtig vor. So liegt der BVG-Mindestzinssatz seit dem Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 1985 bis heute bei einem Durchschnitt von nur 2.74%, während es der Pictet BVG-2000-25 auf annualisierter Basis (zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Textes) auf 4.70% bringt. Was hat man in den 40 Jahren mit dieser Überperformance von rund 2% gemacht? Abgesehen vom lukrativen Geschäft, das die massgeblich an der BVG-Einführung beteiligten Versicherungsgesellschaften damit gemacht haben, wird das Geld wie folgt verwendet worden sein: zur der Bildung einer Wertschwankungsreserve sowie sonstiger technischer Rückstellungen, für die aktiven Versicherten, die mehr als den obligatorischen Mindestzinssatz für Rentner erhielten, sowie für die Rentner, die dank des Beitrags des «dritten Beitragszahlers» bessere lebenslange Renten bekamen. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass die annualisierte Inflation während dieses Zeitraums 1,2% betrug. Da in der Praxis nur sehr wenige Pensionskassen laufende Renten an die Teuerung anpassen, mussten die Rentner einen Kaufkraftverlust hinnehmen.
Deshalb war die Eindämmung der Inflation in der Schweiz Ende des letzten Jahrhunderts eine gute Nachricht für die Rentner. Dadurch wurden die Anlagerenditen implizit zwar gesenkt, doch bekanntlich zählt die reale Rendite, der einzige Indikator für eine Wertsteigerung, was wiederum ein Argument für eine Finanzierung durch das Kapitaldeckungsverfahren ist.
Die Begründer unserer 2. Säule hatten entweder aus Naivität oder in weiser Voraussicht auf einen technischen Zinssatz von 4.0% gesetzt. Im Jahr 2021 lag die seit 1985 annualisierte reale Rendite des Pictet BVG-2000-25 noch bei 4.0%. Seit 2022 liegt diese reale annualisierte Rendite unter 3.5%. Doch Volatilität ist oft viel Lärm um nichts; was wirklich zählt, ist der langfristige Trend. Berechnet man die durchschnittliche reale Rendite des Pictet BVG-2000-25, diesmal aber ab 2005, so betrug sie 2021 3.3%, 2022 2.1% und 2023 2.2%, während sie 2024 bei 2.4% liegen dürfte (20-Jahres-Periode).
Dissoziation ist ein bekannter psychologischer Abwehrmechanismus. Es handelt sich dabei um die funktionelle Trennung bestimmter psychischer oder mentaler Inhalte, die normalerweise zusammengehören. Auf diese Weise wird die Wahrnehmung der Realität und des Erlebten vorübergehend oder dauerhaft abgetrennt und ausgeklammert, um das psychische Trauma ertragen zu können. Bei einer Dissoziation fehlt es an Kongruenz von Aussagen und Haltungen. Die Heilung dieses Zustands erfolgt über die Rückkehr zur Assoziation, die grundsätzlich harmonische und koordinierte Art und Weise, wie das Gehirn funktioniert und die Psyche sich organisiert.
Nach dem Trauma der Negativzinsphase, die durch die Rückkehr der Inflation und die scharfe Korrektur der Aktienmärkte im Jahr 2022 jäh beendet wurde, ist es an der Zeit, dass wir uns aufrappeln und uns wieder auf das Wohl unseres Sozialversicherungssystems und dessen Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung besinnen. Die Grundsatzfrage, die wir uns stellen müssen, lautet: Welche realen Renditen werden Investitionen in die 2. Säule in Zukunft abwerfen können, wenn wir unser heutiges Wissen über die Weltwirtschaft berücksichtigen? Auch heute noch spült der «dritte Beitragszahler» viel Geld in die 2. Säule. Dieser Beitrag beträgt weniger als 4% und mehr als 2%.
Die reale Rendite bestimmt den technischen Zinssatz – in einem ausgewogenen System braucht es nur einen.
Am Anfang war der technische Zinssatz.