Der Abstimmungskampf wird zur Zahlenschlacht | Schweizer Personalvorsorge
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Aus dem Bundeshaus

Der Abstimmungskampf wird zur Zahlenschlacht

Die Abstimmung zur 13. AHV-Revision war aus bürgerlicher Sicht ein Fiasko. Den Lead hatte der Arbeitgeberverband. Er ist in Sachen Kampagnen nicht so erprobt wie die Gewerkschaften oder der Gewerbeverband. Zudem fehlen ihm auch die personellen Ressourcen.

08.05.2024
Lesezeit: 4 min

Manche hätten es deshalb lieber gesehen, der Gewerbeverband würde bei der BVG-Revision das Steuer in die Hand nehmen. Freilich ist er derzeit für derlei Aufgaben nicht sonderlich gut aufgestellt: Der für die 2. Säule zuständige Kurt Gfeller geht Ende Juli in Pension, und der neue Verbandsdirektor Urs Furrer hat seinen Job eben erst angetreten. Zudem ist davon auszugehen, dass noch lange nicht jeder Gewerbler darauf erpicht ist, für höhere Sozialkosten aufzukommen, zumal bereits für die Finanzierung der 13. AHV-Rente höhere Arbeitgeberbeiträge drohen.

Der grünliberale Michael Köpfli war Berner Grossrat, Generalsekretär der Grünliberalen Partei und seit zweieinhalb Jahren ist er Partner bei der Agentur Kommunikationsplan. Er hat das Mandat, um es zu richten. Unter den bürgerlichen Parteien ist es die Mitte-Partei, die das Zepter führen soll. Von ihren Exponentinnen war bisher punkto BVG nur wenig zu hören. Sie sind mit ihrer eigenen Kostenbremse-Initiative beschäftigt, die im Juni zur Abstimmung kommt.

Ein Abbau von Leistungen?

In der April-Ausgabe der Schweizer Personalvorsorge sagt die Gewerkschafterin Gabriela Medici: «Insgesamt ist die BVG-Revision ein Abbau von Leistungen». Barbara Zimmermann kontert: «Das stimmt nicht». Seit August 2023 leitet sie beim Schweizerischen Arbeitgeberverband das Ressort Sozialpolitik und Sozialversicherungen. «100'000 Personen werden neu im BVG versichert sein. Dank höherer Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge gibts im Alter eine höhere Rente. Über 275'000 Frauen werden davon profitieren», sagt sie.

Der Vorteil für Frauen ist auch Alliance F nicht entgangen. Deren Delegierte haben am 20. April mit 81 zu 15 Stimmen die Ja-Parole beschlossen.

Eine falsche Aussage...

Michael Köpfli sagt es so: «Gabriela Medici blendet aus, dass rund 85 Prozent der Versicherten dank überobligatorischer Guthaben gar nicht von der Senkung des Mindestumwandlungssatzes betroffen sind. In ihrer Absolutheit ist die Aussage von Medici damit definitiv falsch.» Und bei den rund 15 Prozent der Betroffenen in Kassen mit einem geringen oder gar keinem Überobligatorium ist laut Köpfli festzuhalten, dass sich ihre Renten heute nur durch eine Umverteilung von den aktiven Versicherten finanzieren lassen. «Das ist weder nachhaltig noch fair gegenüber diesen Versicherten». Bei Personen ab 50 Jahren greife zudem die Regelung für die Übergangsgeneration.

Wie kommen also die Gewerkschaften dazu, von einem Leistungsabbau zu sprechen? Gabriela Medici denkt insbesondere an die mittleren Einkommen. Dieses liegt derzeit bei knapp 6780 Franken pro Monat. «Ab dieser Lohnkategorie ist auf dem obligatorischen Teil ein Leistungsabbau von über 150 Franken pro Monat in Kauf zu nehmen», sagt sie, «obschon während 40 Jahren monatlich über 160 Franken höhere Beiträge einbezahlt werden.» 

...und eine Korrektur des BSV

Stimmt das überhaupt? Nach Auskunft des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) würden nicht wie behauptet während 40 Jahren monatlich 160 Franken höhere Beiträge einbezahlt. Das wäre nur in den ersten zehn Jahren der Fall, danach wären die zusätzlichen Altersgutschriften wesentlich tiefer und würden in den letzten zehn Jahren sogar unter das heutige Niveau sinken.

In einer Interpellation 24.3303 hält SP-Nationalrätin Samira Marti fest, die Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent führe zu Rentenverlusten von bis zu 3'240 Franken im Jahr. Die Zahl stammt aus einer der zahlreichen Übersichtstabellen, die das BSV immer wieder mit neuen Parametern publizierte. Laut BSV handelt sich aber bei diesem maximalen Verlust nur um einen theoretischen Wert, der nur das BVG-Minimum betrifft. «Die typisierten Modellrechnungen können weder individuelle Erwerbskarrieren noch spezifische reglementarische Leistungen der Vorsorgeeinrichtungen, die über das BVG-Minimum hinausgehen können, abbilden».

«Es drohen tiefere Renten»

A propos Modellrechnung: Gabriela Medici erklärt, sie habe die heute gültigen Versicherungsausweise und Reglemente vieler Pensionskassen analysiert. So drohen beispielsweise rund zwei Dritteln der über 50-jährigen Metzger bei einem Ja zur BVG-Revision tiefere Renten, trotz der Zuschüsse, die den ersten 15 Jahrgänge der Übergangsgeneration gewährt werden. Ähnlich sei die Situation bei Floristinnen, Coiffeure, in der Autobranche. Es «drohen tiefere Renten», sagt Medici. Ob es dann auch so ist, lässt sich nicht voraussagen.

Laut Barbara Zimmermann vom Arbeitgeberverband geht es auch um eine Modernisierung der Vorsorge. «Das BVG ist veraltet. Es ist stossend, dass die berufliche Vorsorge immer noch zu einem Gender-Pension-Gap führt», sagt sie. Und es sei unverständlich, dass die Gewerkschaften gegen diese Reform ankämpfen, wenn doch die Arbeitgeber höhere Sozialbeiträge beisteuern.

Warum Arbeitgeber dafür sind

So sind wir bei den Arbeitgebern: Sie haben höhere Sozialkosten schlucken, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten. Warum kämpfen sie trotzdem für diese Reform? «Wenn man so denkt, dann müsste man das BVG ganz abschaffen», sagt FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt: «Ich bin Gastronom, habe 83 Angestellte, aufgrund von Teilzeitpensen mehrheitlich im Tieflohnbereich. Ich habe sehr wohl ein Interesse, dass meine Angestellten im BVG versichert sind und eine bessere Altersvorsorge haben».

Ähnlich äussert sich Diana Gutjahr, Nationalrätin der SVP. «Wir Arbeitgeber haben eine soziale Verantwortung. Wir stehen zum Drei-Säulen-Konzept.» Und überhaupt: Gerade wer viele ältere Unternehmer beschäftigt, profitiere davon, dass die Lohnabzüge ab 45 Jahren sinken, sagt die Unternehmerin mit 80 Angestellten zwischen 16 und 75 Jahren. Und zur Aussage der Gewerkschaften, dass die BVG-Revision ein Leistungsabbau sei, sagt die Thurgauerin. «Wir leben im Schnitt länger, beziehen insgesamt länger eine Rente. Wir haben seit Jahren einen schleichenden Ausbau der Leistungen.»

Was sagen uns all diese Beteuerungen - zum Teil auch des Gegenteils? Es wird im anstehenden Abstimmungskampf eine grosse Herausforderung sein, echte Fakten und leere Behauptungen auseinanderzuhalten. Die «Arena» im Schweizer Fernsehen wird zur Zahlenschlacht.  Es steht Aussage gegen Aussage. Mancher TV-Zuschauer wird sich das wohl nicht antun. Im ZDF läuft meistens gleichzeitig die «Heute-Show».