"Es ist sehr wichtig, dass man endlich einen kleinen Schritt macht." | Schweizer Personalvorsorge
Schliessen
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider zur BVG-21-Abstimmung

"Es ist sehr wichtig, dass man endlich einen kleinen Schritt macht."

An der öffentlichen Veranstaltung unter dem Titel "BVG-Reform: Geht die Rechnung auf?" in Nottwil vertrat Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider die Haltung von Bundesrat und Parlament. Nach ihrer Rede hörte sie auch dem kontrovers geführten Podium zu und sprach im Interview über die Komplexität der Materie und den Streit um Zahlen in der 2. Säule.

22.08.2024
Lesezeit: 4 min

Frau Baume-Schneider, Sie haben schon Erfahrung darin, gegen die Meinung Ihrer Partei Abstimmungskämpfe zu führen. Was ist für Sie neu in der BVG-21-Debatte?

Elisabeth Baume-Schneider: Eigentlich nichts. Ich bin nicht gegen eine Partei. Ich vertrete die Meinung des Bundesrats und des Parlaments. Das ist für mich klar: Es gilt das Prinzip der Kollegialität. Das ist auch ein Zeichen der Reife unserer Demokratie: Man wird gewählt, man weiss, woher man kommt und man weiss auch, dass man die Kollegialität respektiert. Der Bundesrat, die Exekutive – es funktioniert gleich in den Kantonen – muss die Argumente bringen und die Vorlage verständlich erklären. Am Ende gibt es eine Abstimmung und das Volk hat das letzte Wort. Es ist absolut nicht ein Kampf für oder gegen etwas. Es ist unsere lebendige Demokratie. Ich bin sehr gerne Teil davon.

Gerade  bei den Pensionskassen, ist die BVG-21-Vorlage umstritten. Es wird unter Experten heftig um Zahlen gefightet, man ist sich uneinig über die Konsequenzen des Pakets. Wie gehen Sie damit um?

Ich gehe wie Sie damit um. Die Materie der beruflichen Vorsorge ist komplex. Man muss akzeptieren, dass es 1400 Pensionskassen gibt und dass es individuelle Lebensläufe gibt, die ganz unterschiedlich verlaufen. Dass sich die Situation ändern kann, nicht nur im Beruf. Auch die Änderungen im Leben, Zivilstand, Kinder, Beruf, etc. wirken sich auf die berufliche Vorsorge aus. All dies ist in der 2. Säule abgebildet. Ja, vielleicht ist es nicht ganz einfach. Aber jede versicherte Person kann mit ihrer Pensionskasse schauen, was diese Reform individuell für sie bedeutet. Was mir wichtig ist: Wir sollten nicht nur um Zahlen kämpfen. Das System braucht nun einen Fortschritt. Denn wir wissen zwei Sachen ganz klar: Man lebt länger und deswegen muss man die Rente länger bezahlen. Und zweitens ist es auf dem Finanzmarkt nicht dasselbe wie vor 20 Jahren. Deswegen muss man diesen Umwandlungssatz senken, von 6.8 auf 6%.

MM BVG Baume Schneider
Elisabeth Baume-Schneider vertrat am 19. August in Nottwil die Meinung des Bundesrats und des Parlaments zur BVG-Reform: „Die Reform löst nicht alle Probleme. Aber die anderen Themen der 2. Säule muss man auch auf einer anderen Ebene diskutieren.“

Es gibt noch relativ viele UnschlĂĽssige. Selbst die Umfragen zeigen kein eindeutiges Bild. Was ist Ihr bestes Argument fĂĽr ein Ja zu dieser Reform?
Ein wichtiges Argument ist für mich, dass die Eintrittsschwelle gesenkt wird. Damit können neu 70000 Personen eine 2. Säule haben, die bisher nicht versichert waren. Diese 2. Säule – obwohl sie wahrscheinlich niedrig bleibt – ist mehr als eine Rente. Sie ist auch eine Invalidenversicherung und enthält Anwartschaften wie eine mögliche Witwenrente. Das ist etwas sehr Wichtiges, dass wir diesen 70000 Personen, die eher Teilzeitpensen haben oder einen niedrigen Lohn, den Zugang zur 2. Säule ermöglichen. Das ist eine Antwort, die unsere Gesellschaft ihnen geben soll. 

Die Kosten sind beträchtlich, auch die Arbeit wird durch paritätische Beiträge belastet. Ist der Preis für diese Reform nicht zu hoch?

Nein, der Preis ist korrekt. Sowohl für diese 70000 Personen, die neu versichert werden, wie für die 15 Jahrgänge, die vor dem Pensionsalter stehen. Es braucht die Abfederung. Denn ihnen kann man nicht einfach sagen: Sparen Sie noch ein bisschen mehr, wenn der Umwandlungssatz gesenkt wird.  

MM BVG Dittli Ettlin Roth Medici
Die Ständeräte Josef Dittli, FDP und Erich Ettlin, Die Mitte waren wie Bundesrat und Parlament für die Reform BVG 21, über die am 22. September abgestimmt wird. Die Ständerätin Franziska Roth, SP sowie SGB-Zentralsekretärin Gabriela Medici sprachen dagegen.

Das Referendum kam von den Gewerkschaften. Was sagen Sie zu Parteifreundinnen und Parteifreunden, Wortführern wie Frau Medici, Frau Roth oder Herr Maillard, die die Reform bekämpfen?

Ich spreche mit den Leuten, egal ob Sie für ein Ja oder für ein Nein sind. Ich respektiere jede Meinung und lege Wert auf eine sachliche Debatte. Eine, die ohne Abwertung des Gegenübers auskommt. Das war übrigens gleich in der Abstimmungsdebatte um die 13. Rente. Wie gesagt: Meine Verantwortung ist es, zu erklären, was Bundesrat und Parlament sagen. Das ist die Demokratie. Pierre-Yves Maillard und die anderen verstehen, wo ich bin und was ich vertrete. Ich finde das gut, dass man in unserem Land, sehr klar und sehr offen debattieren kann.

Wie wichtig ist es aus Ihrer persönlichen Sicht, dass es eine Reform gibt in der 2. Säule, nach fast 20 Jahren Stillstand?

Es ist sehr wichtig, dass man endlich einen kleinen Schritt macht. Es ist vielleicht nicht eine Revolution. Aber es ist ein bedeutender Schritt, weil die 2. Säule an gesellschaftliche Veränderungen der letzten 20 Jahre angepasst wird. Für Personen mit kleinen Pensen, für die Leute, die noch keine Pensionskasse haben. Und auch für die Pensionskassen nahe am Obligatorium.

Foto EBS 09 Quer
Bundesrätin Baume-Schneider setzt sich für ein Ja zur BVG-21-Reform ein, über die am 22. September abgestimmt wird: „Damit können neu 70000 Personen eine 2. Säule haben, die bisher nicht versichert waren. Das ist eine Antwort, die unsere Gesellschaft ihnen geben soll."

Die spontane Umfrage im Saal nach Ihrem Vortrag ergab eine Mehrheit fĂĽr die Reform. Es gab aber auch einige Unentschlossene, die noch keine Meinung haben. Ihr Schlusswort?

Die Nachhaltigkeit ist wichtig. Auch wenn diese Reform mindestens zwei Drittel der Versicherten und auch die Pensionierten nicht betrifft. So ist diese Reform doch eine Antwort für die Leute, die noch keine 2. Säule haben. Es ist eine Antwort für eine nachhaltige Finanzierung der Sozialversicherung. Und es ist eine Antwort, um zu zeigen, dass man mit der 2. Säule einen Schritt machen kann. Die Reform löst nicht alle Probleme. Aber die anderen Themen muss man auch auf einer anderen Ebene diskutieren.

Das gerupfte Huhn und das Nachtrauern an AV2020

ze. Das Interview mit Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider fand am 19. August im Paraplegiker Zentrum Nottwil statt, wo sie ein Referat hielt an einer Veranstaltung der „Arbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Gesellschaft Kanton Luzern AWG”. Nach dem Referat und einigen Fragen aus dem Publikum gab es ein kontradiktorisches Podium. Die Ständeräte Josef Dittli, FDP und Erich Ettlin, Die Mitte waren wie Bundesrat und Parlament für die Reform BVG 21, über die am 22. September abgestimmt wird. Die Ständerätin Franziska Roth, SP sowie SGB-Zentralsekretärin Gabriela Medici sprachen dagegen. Journalistin Doris Kleck moderierte die Debatte. Ettlin bekannte, dass viele Parlamentarier bis heute der knapp gescheiterten Reform AV2020 nachtrauerten.

Am Schluss fasste Hannes Blatter, GeschäftsfĂĽhrer Luzerner Forum fĂĽr Sozialversicherungen und soziale Sicherheit, die Debatte zusammen und fĂĽhlte dem Publikum den Puls. Er sagte, aus der Debatte im Parlament sei zwar eher ein gerupftes Huhn als ein stolzer Hahn hervorgekommen. Dieses Huhn dĂĽrfe man aber nicht unterschätzen. Es sei nicht die beste Reform, aber die bestmögliche, da das BVG modernisiert und stabilisiert werde.Â