Oder warum das Vorsorgejahr nicht ganz frisch ist | Schweizer Personalvorsorge
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Oder warum das Vorsorgejahr nicht ganz frisch ist

29.01.2024
Lesezeit: 3 min

Es ist schon einige Jahre her, da war ich frisch erstmals Teamleiterin. Nicht nur die Führungsfunktion war frisch, auch mein Arbeitsverhältnis bei dem Schweizer Versicherungskonzern. Noch frischer als ich war (gemessen in Lebensjahren) einer meiner Mitarbeiter, nennen wir ihn Oliver.

Gleich zu Anfang des damals noch verheissungsvoll frischen Jahrs sass ich mit Oliver zusammen, um das vor uns liegende Jahr gemeinsam zu planen. Er als Verantwortlicher für übergreifende Projekte, ich als Leiterin mit klangvoller Funktionsbezeichnung. Ich voller frischer Ideen und Tatendrang, er mit der kopfschüttelnden Gelassenheit des Schondagewesenen. Auf ewig frisch im Gedächtnis bleiben wird mir, wie Oliver nonchalant das Vorsorgejahr in einem Satz für mich zusammenfasste. «Weisst du», sagte er, «das Jahr ist eigentlich praktisch gelaufen». Wohl gemerkt: anfangs Januar!

«Nächste Woche», erklärte er, «kommen alle aus den Weihnachtsferien zurück. Bis alle die Völlerei und das Familientreffen verdaut haben, ist eigentlich schon fast Fasnacht und somit Ausnahmezustand. Von den Sportferien mal ganz abgesehen. Dann müssen dringend die Jahresabschlüsse der verschiedenen Vorsorgestiftungen fertig werden. Anschliessend trudeln die Jahreslöhne der angeschlossenen Arbeitgebenden ein. Lohnerhöhungen, Boni, Teuerungsausgleich – bis alles eingegeben, kontrolliert, korrigiert, korrekt verarbeitet und zurück gemeldet ist, das dauert.» Ich rang nach Frischluft.

«So um Ostern», blieb Oliver unbeirrt, «beginnt dann die Offertphase. Das heisst es werden Offerten für potenzielle Neuanschlüsse und Vertragsverlängerungen erstellt. Da wird gerechnet, diskutiert, rabattiert, taktiert, formatiert und lamentiert, was das Zeug hält. Vor dem Sommer», subsummierte er, «vor dem Sommer brauche ich also niemandem mit irgendwelcher Projektarbeit kommen.» Zumal ausser Sportferien, Fasnacht und Ostern ja auch noch Pfingsten und allerlei Feier- und Brückentage seien.

Um diese Zeit sei man, so ergänzte Oliver augenrollend, üblicherweise auch mit der Schadensbegrenzung zur Frühjahrssession beschäftigt. Es gab, musste ich ihm Recht geben, schliesslich seit Jahren kaum eine Session, die nicht das Thema Altersvorsorge in irgendeiner Form beinhaltete. Von einer zielführenden Debatte und nachhaltigen Lösungen war man dabei zwar oft weit entfernt, scheute aber weder Polemik noch mediales Spektakel. Dazu wolle die Geschäftsleitung dann oftmals eine Stellungnahme oder unternehmensspezifische Analysen, unterrichtete Oliver mich. Für den Fall, dass Journalistinnen oder Golfpartner sie danach fragten. «Und schon ist Frühsommer», schloss Oliver ungerührt.

«Im Frühsommer», fuhr er fort, «wird die Geschäftsleitung sodann alljährlich nervös, sobald sie von der Personalabteilung die Ferien- und Überzeitsaldi erhält. Nach der Vorsorge-Hochsaison wird Salden-Abbau angeordnet. Das heisst, bis zum Herbst ist eigentlich immer ein Teil der Belegschaft abwesend und der Rest mit Stellvertretungen eingedeckt.» Da brauche er, so Oliver weiter, erst gar keine übergreifenden Projekte zu planen, weil er nie alle an einen Tisch geschweige denn Ergebnisse bekomme.

«Im Herbst», gestand er schliesslich ein, «gibt es allenfalls ein Zeitfenster für das eine oder andere Projekt. Allerdings müssen dann auch die Abgänge und Neuaufnahmen neuer Arbeitgeber vorbereitet werden.» Meistens kämen die Softwareanbieter im Herbst mit den umfangreichen Updates und Releases, da müsse intern getestet und geschult werden. Mit Blick aufs Jahresende müssten obendrein Aktualisierungen in den Reglementen der Vorsorgestiftungen vorgenommen werden, das sei versicherungstechnisch, juristisch, systemseitig und kommunikativ sehr aufwändig. Und natürlich müssten die Vorsorgeparameter wie Verzinsung, technischer Zinssatz, Umwandlungssatz, Rententeuerung und so weiter evaluiert, und den Stiftungsräten der verschiedenen Vorsorgestiftungen je eine fundierte Empfehlung unterbreitet werden. «Ausserdem», resümierte Oliver schliesslich, «ist dann ja fast schon wieder Jahresende mit den Weihnachts- und Neujahrsferien und es laufen auch bereits wieder die Vorbereitungen für die Jahresabschlüsse…»

Ich brauchte dringend frische Luft. Von wegen «frisch gewagt ist halb gewonnen»! Nach Olivers Ausführungen wäre «frisch begonnen, schon zerronnen» wohl die passendere Überschrift gewesen. Sowohl was das Vorsorgejahr, aber auch meinen Stellenantritt betraf: Mein Elan fiel in sich zusammen wie ein Soufflé, das frisch aus dem Ofen kommt.

Selbstredend haben wir letztlich doch das eine oder andere Projekt im Jahresverlauf unterbringen können. Nichtsdestotrotz kommt die Erinnerung an Olivers apokalyptische Beschreibung des Vorsorgejahrs mir immer im Januar frisch in den Sinn. Weil sie sich mit jedem Vorsorgejahr eben auch frisch als zutreffend erweist.