Die berufliche Vorsorge funktioniert bekanntlich wie ein Räderwerk. Jede Parameteranpassung hat Auswirkungen auf das modellmässige Leistungsziel. Im parlamentarischen Prozess flammten aber um einzelne Parameter politische Debatten auf, das Big Picture ging verloren.
Die Debatte um den Koordinationsabzug ist bezeichnend, wird doch die Senkung von den Befürworterinnen als die Lösung für das sog. Frauenrentenproblem präsentiert. Die massiven Mehrkosten werden kleingeredet, die prekären Realitäten von Tieflöhnerinnen verkannt. Dass über 90% der Kassen den Koordinationsabzug angepasst haben und der Gender Pension Gap auch in Kassen weiterbesteht, die ihn seit Jahren angepasst haben, geht unter. Die Renten der 2. Säule sind ein Spiegelbild der vergangenen Erwerbsbiografien, allerdings sind Erwerbsbeteiligung, Lohnniveau und der Vorsorgeplan relevant.
Ärgerlich war auch, dass der Nationalrat als Erstrat den Sozialpartnerkompromiss derart zerpflückt hatte. Das Chaos war perfekt, und das öffnete einen riesigen Raum für x weitere Varianten. In die Differenzbereinigung ging der Ständerat mit einem Koordinationsabzug von 15% des AHV-Lohns und einem Rentenzuschlag in Abhängigkeit des Vorsorgeguthabens. Der Nationalrat mit einem fixen Koordinationsabzug, analog Sozialpartnerkompromiss, Sparen ab 20 und Kompensationsmassnahmen gemäss Anrechnungsprinzip. Für Fachpersonen ist klar: Das sind sehr unterschiedliche Vorschläge, die man nicht mit einem Kuhhandel bereinigen kann.
Der Rest ist Geschichte: Die Räte haben sich ohne Weitblick auf eine Vorlage geeinigt, die für die Versicherten in Bezug auf die Mehrkosten für tiefe Einkommen und mit Leistungssenkungen ab mittleren Einkommen eine äusserst schlechte Bilanz ausweist.
Ein vermeintlicher Betriebsunfall, der eher in die Kategorie «Es sollen nicht zu viele einen Rentenzuschlag bekommen» fällt, ist die fehlende Ausnahmeregelung für über 50-Jährige, die aufgrund der Senkung der Eintrittsschwelle neu BVG-versichert würden. Ihr Anspruch auf einen Rentenzuschlag wäre verwehrt, weil eine mindestens 15-jährige Versicherung in einer Pensionskasse vorausgesetzt wird. Die Ratslinke hatte noch erfolglos versucht, diesen Missstand zu eliminieren.
Die hohen Voraussetzungen für den Rentenzuschlag sind ein grundsätzliches Problem. Wenn im Abstimmungskampf Zahlen präsentiert werden, wonach viele Versicherte einen Rentenzuschlag bekommen würden, werden die weiteren Hürden – man fokussiert nur auf die Kapitalgrenzen – ausgeblendet und auch, dass viele Umsetzungsfragen offen sind. Es wird unterschätzt, dass die 20-jährige Anrechnung von WEF-Bezügen zur Verwirkung von vielen Ansprüchen führen könnte. Da wesentliche Punkte wie die Handhabung von Scheidungen, Einkäufen, Personen mit mehreren Kassen, gesplitteten Plänen sowie Früh- bzw. Teilpensionierungen auf Verordnungsebene geregelt werden müssten, bestehen im Abstimmungskampf zu viele Unsicherheiten. Der Bundesrat nimmt sich zwar vor, in der Verordnung «die Versicherten möglichst rechtsgleich [zu behandeln] und Manipulationsmöglichkeiten [zu vermeiden]. Er darf dabei aber auch die Praktikabilität der Regelung nicht vernachlässigen.» (Bericht 20, Seite 18). Mit den beschlossenen Ausgleichsmassnahmen wird dies eine Herkulesaufgabe.
Auch für die Kassen würde die Umsetzung kräftezehrend werden, ein Bürokratiemonster droht. Für die Versicherten ist die Sache vor allem unübersichtlich. Die individuelle Betroffenheit ist für sie auch wegen der komplizierten Ausgleichsmassnahmen nicht abschätzbar, und das ist ein Problem. Die 2. Säule ist per se eine komplexe Materie, jetzt kommt noch eine komplexe Vorlage obendrauf.
Fazit: Das Parlament hat eine fachlich unbrauchbare Vorlage verabschiedet, die der 2. Säule nicht gerecht wird. Die Reform schafft zu viele Verliererinnen und Verlierer. Den Versicherten drohen nicht nur drastisch steigende Lohnabzüge – auch die Rentenunsicherheit nimmt zu. Ein Nein am 22. September ist Pflicht.
Sicherung des Rentenniveaus? Fehlanzeige.