Auf der Website des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB) stand zu lesen: «Das Parlament hat beschlossen, dass wir alle weniger Pensionskassenrenten bekommen und dafür auch noch höhere Beiträge zahlen sollen.» Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Aussage ist falsch. Es ist eine Lüge.
Für Gabriela Medici ist das hingegen eine «erlaubte Zuspitzung», wie sich die Gewerkschafterin in einem Interview mit der NZZ rechtfertigt. Immerhin hat der SGB diese Falschaussage korrigiert und gegenüber der NZZ erklärt: «Die vom Webmaster gewählte Formulierung, welche der NZZ aufgefallen ist, entsprach nicht der Sprachregelung des Referendumskomitees. Deshalb wurde dieser Satz nach dem Hinweis umformuliert.» (Seit wann sind Webmaster für die Formulierung von Inhalten verantwortlich?).
Lügen in Abstimmungskampagnen ist nichts Neues. Erinnert sei an das via Facebook verbreitete Erklärvideo zur AHV-Reform. Darin behauptete der Gewerkschaftsbund, bei einem Ja zu AHV21 «ist die nächste Erhöhung schon programmiert: und zwar für alle». Federführend bei jener Kampagne soll SGB-Präsident und Waadtländer SP-Ständerat Pierre Yves Maillard gewesen sein (und nicht der Webmaster).
Rentenklau
Auch die Rentenklau-Debatte vor 14 Jahren war nicht wirklich verbunden mit den Fakten. Der gesetzliche Umwandlungssatz hätte von 6.8 auf 6.4% gesenkt werden sollen, womit künftige Rentnerinnen und Rentner mit Einbussen zu rechnen gehabt hätten. Der Rentenklau-Slogan suggerierte, dass auch laufende Renten gekürzt würden. Und dass schliesslich das Gros der Versicherten dank überobligatorischer Guthaben gar keine Kürzungen erlitten hätten, blieb auch unerwähnt. Ziel erfüllt: Am 7. März 2010 schickte der Souverän die Vorlage mit über 70% Nein-Stimmen bachab.
Der von den Gewerkschaften beschworene Rentenklau fand dann Jahre später auch tatsächlich statt, nur nicht in dem angeprangerten Sinn: Wegen des zu hohen Umwandlungssatzes erfolgte eine Umverteilung von den aktiv zu den passiv Versicherten von jährlich bis zu 7 Mrd. Franken.
Gelogen wird nicht nur auf der linken Seite: «Freie Arztwahl verlieren? Nein», behaupteten die Abstimmungsgegner zur Managed-Care-Vorlage. Auch dies war gelogen. Und so wurde sie 2012 mit 76% Nein-Stimmen abgelehnt. Bei einem Ja zur Vorlage wäre die freie Arztwahl in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) nicht abgeschafft worden. Die Versicherten hätten jedoch bei der freien Arztwahl einen maximalen Selbstbehalt von 1000 statt 700 Franken in Kauf nehmen müssen. Abschaffen geht anders.
Zu komplexe Vorlage
Die Managed-Care-Vorlage wurde aber auch wegen deren Komplexität abgeschmettert. Kein gutes Omen für die bevorstehende BVG-Abstimmung. Damit lassen sich Beispiele konstruieren, bei denen eine Gruppe von Versicherten bei einem Ja zur BVG schlechter wegkommen dürfte. Wobei entsprechende Modellrechnungen mit der Realität wenig zu tun haben. Wie weit in Zukunft tiefere Renten in Kauf zu nehmen sind, hängt zu einem wesentlichen Teil von überobligatorischen Leistungen ab, die stark voneinander abweichen können.
Wenn nun Abstimmungsgegner vor Rentenkürzungen warnen, so ist auch dieser Begriff streng genommen falsch. Tiefer ist höchstens die Monatsrente, kaum jedoch die Rentensumme, die wegen der steigenden Lebenserwartung im Wachsen begriffen ist. So sind wir beim Umwandlungssatz, der mit der bevorstehenden BVG-Abstimmung auf 6% gesenkt werden soll.
Ginge es nach der bürgerlichen Mehrheit im Bundesparlament, so sollte der gesetzliche Mindestumwandlungssatz wie auch der Mindestzins nicht von der Politik bestimmt werden. Im April 2016 reichte die nationalrätliche Sozialkommission die Motion 16.3350 «Entpolitisierung der technischen Parameter» ein. Der Nationalrat stimmte ihr zu, während der Ständerat in den Jahren 2017 und 2019 für eine Sistierung votierte, bis er dann in der Junisession 2023 das Ansinnen versenkte.
Der Urner FDP-Ständerat Josef Dittli sagte damals: «Das Grundanliegen an sich wäre gemäss vielen Kommissionsmitgliedern zwar nach wie vor berechtigt, ist aber aufgrund der aktuellen Lage und der eben erst gefassten Beschlüsse im Parlament unrealistisch.» Die Kommissionsmehrheit hielt es nicht für zweckmässig, die Reformdiskussion mit weitergehenden Forderungen oder einem Systemwechsel unnötig zu belasten. Dem kann man kaum widersprechen.
Warum der Umwandlungssatz nicht entpolitisiert wird